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Wie freiwillig ist Selbstoptimierung?

Teil 2: Selbst gemachter und durch neoliberale Coachs manipulierter Leistungsdruck?

Wenn ein Alien ins Deutschland vor der Corona Pandemie gekommen wäre, dann hätte er eine histrionisch-angeknipste Menschenmenge gesehen, in denen die meisten glauben, dass sie perfekt aussehen müssen, einen IQ knapp unter 130 haben müssen, denn darüber geht es ja auch nicht, da diese Hochbegabten aufgrund ihres So-Seins ausgegrenzt werden und außerdem angeblich sozial inkompetent seien, dass sie ständig Weiterbildungen machen müssen, um ihre Employability zu erhalten, dass sie am Markt ausgerichtete Studien und Ausbildungen absolvieren müssen, dass sie 16-Stunden-Tage ohne Ermüdungserscheinungen aushalten müssen und dabei den Eindruck erwecken müssen, als hätten sie gerade ein Wellness-Wochenende hinter sich. Jeder will etwas Besonderes sein, aber auch authentisch. Erwerbsarbeit ist für sie so wertvoll wie Gold. Im Falle der Erwerbslosigkeit versinken die Menschen in Depressionen und die Zusage nach zahllosen Bewerbungen wirkt wie ein Antidepressivum. Der Sinn des Lebens dieser Menschen scheint zu sein, sich einem neoliberalen, kapitalistischen und individualisierten System zu unterwerfen und von der Coach- und Beraterschar das so gut wie möglich zu lernen. Wenn diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, dann geht es diesen Menschen gut, sie leben im Wohlstand, konsumieren und schauen auf diejenigen herab, die den Eintritt in den Arbeitsmarkt nicht geschafft haben.

Deren Denken funktioniert so:

  1. Wer es nicht geschafft hat, trägt dafür die 100%ige Verantwortung: Hat sich wohl am Arbeitsplatz unprofessionell verhalten, schlechte Leistungen erbracht oder zu viel krank gefeiert.
  2. Wer gemobbt wurde, hat eben zu viele Schwächen gezeigt oder war ziemlich psycho.
  3. Wer eine löcherige Erwerbsbiografie hat, ist ein Gutmensch, der nicht begriffen hat, dass man, um Karriere zu machen, seine Ellenbogen einsetzen muss. Oder er weist eine histrionische Persönlichkeitsstörung auf und spielt das „Armes-Schwein-Spiel“, um Aufmerksamkeit zu bekommen und verleugnet die Tatsache, dass er zu faul, zu blöd und zu nervig war. Ist eben nicht selbstoptimiert genug.

So lauten die Vorurteile, die unhinterfragt als Wahrheit angenommen werden. Victim Blaming ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Victim Blaming gehört schon fast zur Allgemeinbildung, oder?

So sieht es auch der Wiener Soziologe Erich Ribolits. Er kritisiert in seinem Essay „Pädagogisierung - Oder: ‚Wollt Ihr die totale Erziehung’?“ die Tendenz der Menschen, Selbstoptimierung zum Zwecke des sich zum Untertan des Kapitalismus Machens zu betreiben, als glaubten sie, dass sie in allen Lebensbereichen ein perfekter Mensch sein müssten, um überhaupt die Chance auf einen Arbeitsplatz zu haben, den sie dann auch länger behalten. Er schreibt: „Dieser Aufruf zum Lernen beschränkt sich keineswegs bloß auf den von Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik penetrant und immer wieder wiederholten Hinweis, dass es heute für jedermann zwingend notwendig sei, seine Employability durch das lebenslange Update arbeitsmarktrelevanter Qualifikationen abzusichern. Auch wenn es um Dinge wie Kindererziehung, Beziehungsprobleme, Ess- oder Konsumgewohnheiten, Fragen des Lebenssinns oder andere ‚Alltagsprobleme’ geht, wird derzeit regelmäßig an unsere Vernunft appelliert indem wir zum einen geradezu bombardiert mit mundgerecht aufbereiteten Erkenntnissen der Wissenschaft werden und zum anderen ständig so getan wird, als ob es jeweils bloß der individuellen Einsicht bedürfte damit sich alles zum Vernünftigen wendet.“

Coachs und Berater - also auch ich - bekommen von ihm ihr Fett weg: „Dazu kommt, dass gegenwärtig kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht irgendwo im Rundfunk, im Fernsehen, durch eine Zeitschrift oder eines der massenhaft die Buchhandlungen überschwemmenden ‚Rezeptbücher für vernünftiges Leben’ darüber ‚aufgeklärt’ werden, wie beispielsweise mit schwierigen Kindern, geheimen sexuellen Wünschen, der Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit in Beziehungen, Hierarchieunterschieden am Arbeitsplatz, den diversen Lebenskrisen oder dem Problem einer adäquaten finanziellen Absicherung im Alter ‚vernünftig’ - also unter Berücksichtigung allen vorgeblich gesicherten Wissens - umgegangen werden soll [...] Darüber hinaus bieten sich aber auch noch Supervisor/innen, Mediator/innen, Coaches, Persönlichkeitstrainer/innen, ... - und wie die ‚Professionist/innen für lebenslange Erziehung’ sonst noch alle heißen mögen - an, um uns ‚gegen eine kleine Gebühr’ im Kampf um ein den bürgerlich-kapitalistischen Vernunftkriterien entsprechendes Verhalten zu unterstützen. Es braucht wohl nicht extra betont zu werden, dass es bei all den ‚Vernunftfördermaßnahmen’ ganz sicher nicht darum geht, klüger zu werden, sich also einen weiteren Horizont zu erschließen und dadurch mehr befähigt zu sein, eine menschlichere Welt einzufordern. Bei der mit pädagogisch-therapeutischem Habitus präsentierten Hilfe geht es nicht darum, das Selbstbewusstsein von Menschen im Kampf gegen die Zumutungen, die sich aus dem aktuellen gesellschaftlichen Status quo ergeben, zu stärken. Ganz im Gegenteil, Ziel ist die Domestizierung des Denkens - im Kern geht es stets um so etwas wie (Um-)Erziehungsprozesse mit dem Ziel, im sozialen Kontext friktionsfreier zu funktionieren.“

Etwas gemäßter im Ton ist Greta Wagner: In ihrem Vortrag auf der digitalen Fachtagung im Rahmen der phil.cologne 2020 „Arbeit am perfekten Ich. Der Geist der Selbstoptimierung und die Folgen für die Gesellschaft“ sagte sie „Wir können das [Motive für Selbstoptimierung] nur verstehen, wenn wir sehen, dass in diesen Versprechen der Selbstoptimierung auch so eine Idee des Guten enthalten ist, das Versprechen, ein authentisches und selbstverwirklichtes Leben zu führen und das wiederum wurzelt in diesen modernen Errungenschaften der Autonomiegewinner. Man sieht also auf der einen Seite, dass viele Normen brüchig geworden sind, viele neue Entscheidungsspielräume, Möglichkeiten der Selbstbestimmung entstanden sind - im gleichen Zeitraum aber hat sich auch die Sozialordnung tiefgreifend gewandelt - dahingehend, dass wir eine globalisierte Weltwirtschaft haben, es gibt eine Zurückdrängung von einer Politik der Umverteilung in den letzten 30 Jahren, es gibt einen Abbau des Wohlfahrtsstaats und der Wettbewerb zwischen den Individuen hat sich eher verschärft.

[...] Diese Verwettbewerblichung zeigt sich sogar in Unternehmen, wo eigentlich überhaupt keine Wettbewerbe stattfinden, beispielsweise zwischen zwei Abteilungen eines Unternehmens. Die Idee, dass der Wettbewerb Effektivität steigert und Ressourcen generiert, ist so tief verwurzelt in der Gegenwartsgesellschaft, dass man sogar künstliche Wettbewerbe schafft, dass man versucht, Abteilungen eines Unternehmens in Konkurrenz zu bringen, in der Hoffnung, dass die Mitarbeiter*innen sich dann mehr anstrengen. [...] Die Entwicklungen der letzten 30 Jahre wurden auch als Neoliberalisierungsprozesse beschrieben und wenn man sich dann anschaut, welche Regierungsweise die ursprünglich Neoliberalen für gut geheißen haben, also, diejenigen, die sich noch selbst als neoliberal bezeichnet haben und dieses Programm ausgearbeitet haben am Ende der 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts, dann ist da ein ganz wichtiger Faktor und der zeigt sich auch in vielen Reformen, dass eben das Ziel einer neoliberalen Regierungsweise ist, ein Grundgefühl der sozialen Sicherheit zu schwächen, d. h., man darf sich in persönlichen Krisen nicht auf die Gemeinschaft verlassen, sondern nur auf sich selbst.“

Soll heißen: Die Neoliberalen wollen, dass Sie, wenn Sie am Boden liegen, keine Hilfe bekommen. Wenn das mal keine Panik auslöst ...

In Wirklichkeit existiert hierzulande immer noch ein Sozialstaat. Wenn Sie also hingefallen sind, reicht er Ihnen seine Hand, aber Sie müssen dann auch wenigstens versuchen, aufzustehen. Wenn Sie es dann wirklich nicht können, weil Sie krank oder zu schwach sind, dann zieht er Sie hoch, um mal bei diesem Bild zu bleiben.



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Ute Albrecht
Bewerbungsberaterin


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